Fachtagung Am 12. März 2011 veranstaltete die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V. in Bonn eine ganztägige Fachtagung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) mit dem Ziel, die Problematik der PID aus Sicht der Betroffenen abzubilden. Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen, die zu rund 80% genetisch bedingt sind, trägt die PID eine relevante Bedeutung.
Aufgrund der Vielstimmigkeit unter den ACHSE Mitgliedern gibt die ACHSE als Verband keine eigene Stellungnahme zur PID ab. Während der Veranstaltung hat sich jedoch eine Mehrheit der Anwesenden für die PID ausgesprochen.
In Form eines Meinungsaustauschs wurden Stellungnahmen Betroffener durch Fachbeiträge von Experten ergänzt. Verschiedene Referenten ordneten die PID in einen biologisch/medizinischen, juristischen und ethischen Kontext ein. Auch die vorliegenden Gesetzesentwürfe des Bundestages fanden Berücksichtigung.
Die Veranstaltung spiegelte die Meinungsvielfalt wider, wie sie in der Politik, Kultur und Gesellschaft derzeit in Deutschland vorzufinden ist.Die Befürworter der PID betrachten ein PID-Verbot als unzulässigen Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützten Persönlichkeitsrechte der Bürger, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Nicht der große gesellschaftliche Kontext sei für eine Entscheidung ausschlaggebend, sondern die persönliche, individuelle (Leid-) Erfahrung mit einer Erkrankung. Der verständliche Wunsch aller Eltern nach einem gesunden Kind erlangt bei einer vererbbaren Erkrankung, die mit Schmerzen, Einschränkungen, psychischem Leid einher geht besondere Dimension. Diese Form der vorausschauenden Verantwortungsübernahme für das ungeborene Kind müsse respektiert werden. Auch wurde mehrfach betont, dass die PID nicht leichtfertiges Mittel zum Zweck sei. Das aufwändige, für die Betroffenen körperlich und seelisch strapaziöse Verfahren mit eingeschränkter Erfolgsquote beuge jeder „missbräuchlichen“ Handhabung vor. Das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern, in denen die PID angewandt wird.
Die Gegner der PID verwiesen auf die Würde des Menschen, die explizit im Grundgesetz verankert ist und die nicht aufgrund körperlicher Einschränkungen zur Disposition gestellt werden dürfe. In diesem Zusammenhang wurde die Befürchtung geäußert, der Diskriminierung von Behinderten weiteren Vorschub zu leisten, die Inklusion nachhaltig zu schwächen und der zunehmenden Ökonomisierung gesellschaftlicher Teilhabe in die Hände zu spielen. Auch wurde davor gewarnt, „Behinderung“ mit „Leid“ gleichzusetzen.
Überaus kritisch und mit mehrheitlicher Ablehnung wurde von vielen Beteiligten der Wertungswiderspruch gesehen: die faktische Nutzung des Schwangerschaftsabbruchs nach den heute gängigen pränatal-diagnostischen Untersuchungen zur Verhinderung von kranken Kindern als akzeptabel zu betrachten, dagegen die Anwendung der PID aus ethischen Gründen abzulehnen. Die Konfliktsituation „Würde der Mutter“ gegen die „Würde des Kindes“ bei fortgeschrittener Schwangerschaft und Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung des Embryos wird als physisch und psychisch nicht zumutbar eingestuft.
Allseits wurde betont, dass aus einer Zulassung der PID nicht die Verpflichtung zur Anwendung erwachsen dürfe. Auch wurde eine mögliche Zulassung nur unter restriktiver Indikation begrüßt. Einig war man sich auch darüber, dass jeglicher Entscheidungsfindung und behandlungsunabhängig, grundsätzlich eine ausführliche, fundierte medizinische, aber auch psychosoziale Beratung vorausgehen sollte. Gerade die Selbsthilfeorganisationen von Betroffenen von Seltenen Erkrankungen bieten sich hierfür als kompetente Ansprechpartner an.