Experten kritisieren Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen
Menschen mit seltenen Erkrankungen sind chronisch unterversorgt. Das haben Experten gestern auf einer Fachtagung der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) und des Mukoviszidose e.V. in Berlin bestätigt. Nach ihren Angaben dauert es in den meisten Fällen viel zu lange, bis die Diagnose gefunden wird. Danach komme dann eine unzureichende Versorgung auf die Patienten zu. „Es ist unerträglich, dass Menschen mit Seltenen Krankheiten als Stiefkinder der Medizin behandelt werden. Wir fordern eine bedarfsgerechte Versorgung für diese Patienten!“, sagt Christoph Nachtigäller, Vorsitzender der ACHSE e.V.
Gesetzliche Grundlagen reichen nicht aus
Nach Ansicht der geladenen Gesundheitsexperten reichen die bisherigen gesetzlichen Grundlagen für eine angemessene Versorgung nicht aus: „Zum Beispiel gibt es seit 2005 es einen europäischen Konsens zur Behandlung von Mukoviszidose, der durch die europäische Fachgesellschaft entwickelt wurde und die einzelnen Aspekte der Therapie dieser nach wie vor lebensbedrohlichen Erkrankung genau beschreibt. Der Gemeinsame Bundesausschuss übernahm die Kriterien weitgehend in seine Richtlinie zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus. Doch diese Richtlinien können in den Kliniken nicht umgesetzt werden, weil die verpflichtend eingeführte Teamversorgung im arzttext-centeren Abrechnungsmodell des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) nur teilweise honoriert wird“, berichtete Prof. Thomas O.F. Wagner, Leiter eines der größten Mukoviszidose-Spezialzentren in Deutschland. Andere Menschen mit seltenen Erkrankungen geraten in die Konkurrenz zwischen niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern. „Seit 2006 haben wir Konzepte zur Behandlung von schwer herzkranken Kindern entwickelt. Wir können sie aber nicht umsetzen, ehe sich niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte nicht einigen, wo die Versorgung stattfinden soll“, beklagt Hermine Nock, Geschäftsführerin des Verbandes Herzkranker Kinder.
Kämpfen für „Integrierte Versorgung“
Menschen mit seltenen Erkrankungen gehören in die Hand von erfahrenen Expertenteams. Darin waren sich die meisten der Gesundheitsexperten auf der Fachtagung der ACHSE in Berlin einig. Nur in einem fachübergreifenden Versorgungsnetz lässt sich die vielfältige Symptomatik angemessen behandeln.
„Wir brauchen eine bedarfs- und patientenorientierte Lösung. Dazu wollen wir einen Nationalplan für Seltene Erkrankungen erarbeiten. Damit kommen wir unserem Ziel der Chancengerechtigkeit und mehr Lebensqualität für Menschen mit Seltenen Erkrankungen einen großen Schritt näher.“, resümierte Christoph Nachtigäller in seinem Schlusswort der Tagung.
Selbst unzureichende Versorgung nicht ausreichend vergütet
Darüber hinaus wird die Versorgung der Patienten bislang nicht einmal angemessen vergütet. So bildet zum Beispiel der EBM wesentliche Teile der Versorgung von seltenen Erkrankungen nicht ab. Die Folge: Praxen und Krankenhäuser können zum Beispiel lebensnotwendige Maßnahmen wie ausführliche Beratungsgespräche, Ernährungsberatung, Maßnahmen zur Qualitätssicherung und zur Strukturierung der Kommunikation mit behandelnden Einrichtungen nicht ausreichend abrechnen. Rund vier Millionen Menschen sind in Deutschland von einer seltenen Erkrankung betroffen. Sie sind in 80 Prozent der Fälle genetischen Ursprungs. Der überwiegende Teil ist bis heute unheilbar und mit schwersten Beeinträchtigungen des Lebens verbunden. In der ACHSE sind fast 100 Patientenorganisationen vereinigt, die sich für Menschen mit einer seltenen Krankheit einsetzen. Dazu gehören zum Beispiel eine Reihe von Muskelkrankheiten, angeborene Stoffwechselkrankheiten wie Mukoviszidose und Mukopolysaccharidosen, Immunerkrankungen wie der Lupus erythematodes und verschiedene Formen des Kleinwuchses. Die Achse informiert über die seltenen Erkrankungen und unterstützt die einzelnen Patientenorganisationen in ihrer Arbeit. Darüber hinaus vertritt sie übergeordnete Interessen auf politischer Ebene, setzt sich für bessere Therapien ein und fördert die Forschung.
Für interessierte Medienvertreter und Interviewanfragen:
Rania von der Ropp
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